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Recht auf ein Arbeitszeugnis
8
Mrz
2021

FDP-Abgeordneter fordert Standardformulierungen für Arbeitszeugnisse

8 gelbe Spielfiguren, über denen das Wort Standard steht

Autorin: Claudia Kilian

Thomas Sattelberger, der Wirtschaftsexperte der FDP-Bundestagsfraktion, erklärte gerade im Focus-Magazin Arbeitszeugnisse für wertlos und forderte eine allgemeingültige Liste von Standardformulierungen für Arbeitszeugnisse. Wir hinterfragen mal die Forderung.

Standardformulierungen für Arbeitszeugnisse oder Referenzen

Der Bundestagsabgeordnete Sattelberger findet Arbeitszeugnisse in Deutschland wertlos, da die Arbeitgeber trotz Wahrheitspflicht wohlwollende Zeugnisse ausstellen müssen. Er fordert daher von DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) und BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) eine „Liste von Standardformulierungen für Arbeitszeugnisse, die die wahren Leistungen von Arbeitnehmern wiedergeben“. An dieser Liste sollen sich dann Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Gerichte orientieren können. Alternativ schlägt Sattelberger vor, das Arbeitszeugnis ganz abzuschaffen und durch Referenzen und Empfehlungsschreiben nach dem amerikanischen Modell zu ersetzen.

Bevor Sie meine Meinung hierzu lesen können, möchte ich die Gelegenheit für ein kleines Stimmungsbild nutzen:

Ist eine Liste von Standardformulierungen sinnvoll?

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Wie sinnvoll wäre eine Liste mit Standardformulierungen für Arbeitszeugnisse?

Das Prüfen und Erstellen von Arbeitszeugnissen ist mein Beruf, ich möchte fast sagen, meine Berufung. Eine Liste mit Standardformulierungen würde mich quasi arbeitslos machen. Dennoch sehe ich auch die Vorteile, da ich es wichtig finde, dass jeder sein Arbeitszeugnis selbst beurteilen kann. (Daran arbeite ich mit meinen Büchern und den Inhalten dieser Webseite).

Noch wichtiger finde ich jedoch, dass das Thema auf der Arbeitgeberseite ernster genommen wird. (Ja, das kostet Zeit und ist aufwendig.) Ein Arbeitszeugnis verifiziert schließlich den Lebenslauf. Es dokumentiert die Kenntnisse, die Erfahrung, die Arbeitsweise, auch die Zuverlässigkeit und das Verhalten jedes Mitarbeiters – bzw. sollte es das zumindest. Heute werden aber viele Arbeitszeugnisse teilweise halbherzig in Zeugnis-Generatoren zusammengeklickt – von Mitarbeitern, die noch nie eine Schulung zu diesem Thema hatten. Das Ergebnis sind oftmals starre, widersprüchliche Dokumente mit wenig Aussagekraft. Und damit sind wir auch schon bei den Nachteilen.

Thomas Sattelberger verkennt meines Erachtens, dass es solche Listen bereits gibt. Es gibt Zeugnis-Software, es gibt unzählige Bücher mit Textbausteinen – die alle ihre Daseinsberechtigung haben und durchaus als Vorlage dienen können. Ich bin da gar kein Gegner. Aber:

Standardformulierungen sorgen für starre Arbeitszeugnisse

Gegenfrage, Herr Sattelberger: Wie lang soll die Liste denn werden? Wie viele Bausteine dürfen es pro Beurteilungskriterium und Notenstufe denn sein? Wenn Sie die geläufigen Zeugnis-Generatoren anschauen, haben Sie tausende Bausteine. Und am Ende ein Ergebnis wie etwa: …

Herr Muster löste aufgrund seiner Kompetenz die ihm übertragenen Aufgaben stets gut. Seine schnelle Auffassungsgabe ermöglichte es ihm, auch schwierigste Situationen sofort zu überblicken und dabei stets den Kern der Sache zu erkennen. … Er zeichnete sich stets durch eine gute Arbeitsweise aus. … Herr Muster zeichnete sich stets durch eine überdurchschnittliche Arbeitsqualität aus. …


Und jetzt nehmen Sie doch einmal unterschiedliche Berufsbilder: Key Account Manager, Bibliotheksangestellte, Metzgerei-Fachverkäufer usw. Wie gut passt das? Als zukünftiger Arbeitgeber möchte ich doch zum Beispiel wissen:

  • Wie geht Herr Muster mit Kunden um? Kann er beraten, die Bedürfnisse der Kunden erkennen?
  • Womit kennt er sich besonders gut aus? Welche Erfahrungen hat er? Hat er Spezialwissen? Spezielle Fähigkeiten? Ist er kreativ?
  • Hat er die Firma nach vorne gebracht? Neue Produkte, neue Kunden, neue Vertriebswege?
  • Was zeichnet ihn aus in seinem Job? Warum ist er als Bewerber für mich interessant?

Was ist mit Wertschätzung für die Mitarbeiter?

Auch meine Mandanten wünschen sich im Übrigen, dass sie sich und ihr Aufgabenprofil, ihre Erfolge und persönlichen Leistungen im Arbeitszeugnis wiederfinden. Eine Liste mit Standardphrasen kann das nicht leisten. Dann könnte man sich die Formulierungen auch gleich schenken und einfach wie in der Schule die Notenstufen dahinter schreiben. Das wäre einfacher.

Aus der Formulierung „…,die die wahren Leistungen widerspiegeln“ schließe ich im Übrigen, dass Herr Sattelberger das Wohlwollen auch gleich streichen will. Arbeitgeber sollen offen schreiben dürfen, dass der Mitarbeiter „ein Depp“ ist? Oder soll es auch hier wieder standardisierte „Geheimcodes“ geben?

Alternative: Sind Referenzen die Lösung?

Ja, in der Tat wäre so etwas wie ein Referenzschreiben eine Alternative. Die Arbeitgeberseite wäre nicht an rechtliche Vorgaben gebunden und könnte formulieren, was und wie sie wollte. (Ob das so viel leichter ist?) Einen rechtlichen Anspruch auf eine Referenz gibt es übrigens auch nicht. Alles in allem: Vorteil für die Arbeitgeberseite. (Übrigens: unser Beitrag „Was, wenn der Arbeitgeber kein Zeugnis ausstellt?“ zählt auch heute schon zu den Top 5. Wenn es keine Arbeitgeberpflicht mehr gäbe, …)


Autorin: Claudia Kilian
Zeugnis-Expertin, Volljuristin, Fachbuchautorin mehrerer Bücher über Arbeitszeugnisse, langjährige Lektorin.
Seit 2008 der Kopf hinter „Mein-Arbeitzeugnis.com“

Erfahrungen & Bewertungen zu mein-arbeitszeugnis.com