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Streit um das Arbeitszeugnis
16
Jun
2023

Zeugnisberichtigung auch nach 2 Jahren noch möglich (#Urteil)

Autorin: Claudia Kilian

Es soll ja Arbeitgeber geben, die böswillig schlechte Arbeitszeugnisse ausstellen. Diese müssen auch nach Jahren noch damit rechnen, dass der ehemalige Mitarbeiter eine Berichtigung des Arbeitszeugnisses einfordert. Der Anspruch auf Zeugnisberichtigung soll hier nicht verwirkt sein.

Heute kommt mein Praxistipp gleich zu Beginn des Artikels, weil er so wichtig ist.


Unser Praxistipp!

Ihr Arbeitgeber hat Ihnen – ob böswillig oder unbedacht – ein Arbeitszeugnis ausgestellt, das durch schlecht gewählte Formulierungen, fehlende Inhalte oder formelle Fehler für Sie nachteilig ist? Dann sollten Sie die betreffenden Passagen so schnell wie möglich beim Arbeitgeber beanstanden und eine Berichtung fordern. Wenn Sie zu lange warten, riskieren Sie eine Verwirkung.

Zeugnisberichtigung nach 2 Jahren? Das ist zu lange her!

Im Entscheidungsfall vor dem LAG Baden-Württemberg hatte ein Arbeitnehmer nämlich 2 Jahre gewartet, bis er die Berichtigung des Arbeitszeugnisses vor Gericht einklagte. Das ist zu lange her, sagte die Arbeitgeberseite. Der Anspruch auf Zeugnisberichtigung sei nach 2 Jahren verwirkt. So weit, so richtig. Wäre da nicht die Vorgeschichte:

Der Arbeitnehmer hatte zuletzt als Produkt und Sales Engineer in dem Unternehmen gearbeitet. Aus welchen Gründen auch immer wollte man ihn dort wohl los werden. Im Urteil ist von diversen verhaltensbedingten und fristlosen Kündigungen die Rede, die aber alle vor Gericht keinen Bestand hatten. Schließlich kündigte der Mitarbeiter selbst zum 31. März 2019.

Arbeitszeugnis Nr. 1 völlig inakzeptabel

Er erhielt im Anschluss ein Arbeitszeugnis, das auf den 29.7.2018 datiert war, also weit vor Ende des Arbeitsverhältnisses (siehe hierzu: Welches Datum im Zeugnis stehen sollte). Auch die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung war wohl eher mau. Also schickte er das Zeugnis als „völlig inakzeptabel“ zurück und forderte eine Berichtigung. Vor allem die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung solle zwischen sehr gut und gut liegen, so seine Forderung.

Arbeitszeugnis Nr. 2 nur unwesentlich besser

Im September 2019 erhielt er eine nur unwesentlich korrigierte Version. Das Arbeitszeugnis zeigt eine „insgesamt schwache Leistung“. Vor allem sei der Arbeitnehmer „den Anforderungen des Arbeitsplatzes nicht gewachsen gewesen“ und es habe „Spannungen im Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten“ gegeben. Außerdem habe er eine kundenspezifische und daher streng vertrauliche, zutiefst technische Zeichnung an einen direkten Konkurrenten übermittelt. 

Auch dieses Arbeitszeugnis beanstandete der ehemalige Mitarbeiter umgehend. Seine Klage auf Zeugnisberichtigung erhob er allerdings erst 2021, also 2 Jahre später.

Anspruch auf Zeugnisberichtigung nicht verwirkt

Das LAG Baden-Württemberg verurteilte den Arbeitgeber, zumindest ein durchschnittliches Zeugnis zu erteilen. Das Recht auf Zeugnisberichtigung sei hier nicht verwirkt.


Achtung

Eine sog. Verwirkung kommt immer dann in Betracht, wenn

1. der Arbeitnehmer über längere Zeit die Berichtigung nicht eingefordert hat (Zeitmoment) und

2. er dadurch den Eindruck erweckt hat, dass er sein Recht auf Berichtigung nicht mehr geltend machen wird (Umstandsmoment).

Auch die Richter sahen die 2 Jahre zwischen der letzten Beanstandung und der Klage als zu lange an. Das Zeitmoment der Verwirkung wäre durchaus gegeben – aber das Umstandsmoment nicht.

Das erteilte Zeugnis entspricht allenfalls der Schulnote „ungenügend“, heißt es im Urteil. Die Arbeitgeberseite habe es bewusst darauf angelegt, das Arbeitszeugnis so zu formulieren, dass man es bei künftigen Bewerbungen nicht verwenden könne. Dies habe der ehemalige Mitarbeiter auch sofort als vollkommen indiskutabel gerügt. In diesem Zusammenhang beschrieben die Richter auch die „seltene Hartnäckigkeit und Bösartigkeit“, mit der die Arbeitgeberseite versucht, ein „kündigungsrelevantes Fehlverhalten des Mitarbeiters zu konstruieren“.

Der Arbeitgeber durfte daher in diesem Fall nicht darauf vertrauen, dass der Mitarbeiter seinen Anspruch auf Zeugnisberichtigung nicht mehr geltend machen würde.

Zusammengefasst

Das Recht auf Zeugnisberichtigung kann verwirkt sein, wenn der Arbeitnehmer über längere Zeit keine Korrektur des Arbeitszeugnisses einfordert. In diesem Fall durfte der Arbeitgeber jedoch nicht darauf vertrauen, dass sich der Mitarbeiter nicht mehr gerichtlich gegen das Zeugnis wehren wird. Zum einen, weil die Beurteilung ausgesprochen mies war. Zum anderen, weil der Mitarbeiter das Arbeitszeugnis von Anfang an als vollkommen indiskutabel gerügt hatte. Dennoch möchten wir Ihnen folgenden Rat noch einmal ans Herz legen: Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Arbeitszeugnis keinen guten Eindruck von Ihnen vermittelt, warten Sie nicht zu lange!


Und wie können wir Sie unterstützen?

Sie sind sich nicht sicher, ob Ihr Arbeitszeugnis in Ordnung ist? Wir nehmen Ihr Arbeitszeugnis genau unter die Lupe und liefern Ihnen passgenaue Verbesserungsvorschläge.

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Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.05.2023, Az.: 4 Sa 54/22

Autorin: Claudia Kilian
Zeugnis-Expertin, Volljuristin, Fachbuchautorin mehrerer Bücher über Arbeitszeugnisse, langjährige Lektorin.
Seit 2008 der Kopf hinter „Mein-Arbeitzeugnis.com“

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