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Achtung Zwischenzeugnis
2
Aug
2023

Zeugniswahrheit: Kündigung wegen positivem Zwischenzeugnis unwirksam (#Urteil)

Produktionshalle

Autorin: Claudia Kilian

Der Arbeitgeber ist an seine positiven Aussagen im Zwischenzeugnis gebunden. Kündigt er dem Mitarbeiter einen Tag später aus verhaltensbedingten Gründen, kann diese Kündigung unwirksam sein, sagt das LAG Hamm. Ein Hoch auf den Grundsatz der Zeugniswahrheit.

Ein sehr interessanter Kündigungsschutzprozess, den das LAG Hamm hier auf dem Richtertisch hatte. Geklagt hatte ein Produktionsmitarbeiter, der ein Zwischenzeugnis mit folgender Leistungs- und Verhaltensbeurteilung erhalten hatte:

Herr A. hat sich schnell in den Bereichen eingearbeitet. Er erledigt die ihm übertragenen Arbeiten stets zu unserer vollsten Zufriedenheit. Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen ist immer einwandfrei.“

Am nächsten Tag erhielt er eine fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung. Der Grund: Der Mitarbeiter habe den Geschäftsführer aggressiv beleidigt und bedroht. Er habe den Geschäftsführer längere Zeit auf Schritt und Tritt durch die Produktionshallen verfolgt, um ein Zwischenzeugnis zu bekommen. Um die Situation zu entschärfen und zu beenden, stellte der Geschäftsführer dann sofort das Zwischenzeugnis.

Arbeitgeber widersprüchlich – Kündigung unwirksam

Jetzt wissen wir natürlich nicht im Detail, was in diesem Arbeitsverhältnis alles vorgefallen ist. Gesund klingt das alles nicht. Auf jeden Fall wehrte sich der Mitarbeiter gegen die Kündigung – und das mit Erfolg. Hierbei kam ihm der Grundsatz der Zeugniswahrheit zugute. Sowohl das Arbeitsgericht Bocholt als auch das LAG Hamm hielten die fristlose (und die hilfsweise ausgesprochene ordentliche) Kündigung für unwirksam (LAG Hamm, Urteil vom 03.05.2022, Az.:14 Sa 1350/21).

Die Arbeitgeberseite habe hier widersprüchlich gehandelt. Sie bescheinigte dem Mitarbeiter im Zwischenzeugnis, „dass sein Verhalten immer einwandfrei ist„. (Notenstufe gut). Auf der anderen Seite kündigte sie das Arbeitsverhältnis am nächsten Tag jedoch wegen seines Fehlverhaltens. Dieses widersprüchliche Verhalten sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§242 BGB).

Arbeitgeber muss Grundsatz der Zeugniswahrheit beachten

„Es war doch nur eine schriftliche Lüge, um den Arbeitnehmer und die Situation zu beruhigen.“ Diesen Einwand der Arbeitgeberseite wollten die Richter nicht gelten lassen. Sie stellten klar: Nach dem Grundsatz der Zeugniswahrheit muss der Arbeitgeber ein wahrheitsgemäßes Arbeitszeugnis ausstellen.


Achtung

Wahrheit vor Wohlwollen: In erster Linie muss ein Arbeitszeugnis wahrheitsgemäß sein und nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend.

Aufgrund der Wahrheitspflicht habe der Mitarbeiter das Zwischenzeugnis so verstehen müssen, dass seine Leistung und sein Verhaltens wahrheitsgetreu mit gut gewürdigt wurden. An diese positive Beurteilung sei der Arbeitgeber gebunden und die Kündigung unwirksam. Er durfte die Kündigung hier nicht mit einem Fehlverhalten begründen, das beim Schreiben des Zwischenzeugnisses bekannt war. Die Richter wiesen den Arbeitgeber im Übrigen daraufhin, dass es hier durchaus auch andere Maßnahmen gegeben hätte, um die Situation zu beruhigen. Es hätte jetzt nicht unbedingt ein überdurchschnittlich gutes Zwischenzeugnis sein müssen. (Wobei man über das „gut“ auch streiten könnte.)

Unser Fazit

In der ganzen Diskussion rund um die Frage „Sind Arbeitszeugnisse heute noch zeitgemäß?“ ist das Urteil des LAG Hamm doch mal ein echter Lichtblick (wenn auch für das Unternehmen bitter). Es zeigt aber, wie lax viele Unternehmen heute mit dem Thema umgehen. Einfach ein gutes Zeugnis schreiben und man ist den unliebsamen Mitarbeiter los. Ja, ein Arbeitszeugnis soll wohlwollend sein und den Mitarbeiter nicht in seinem beruflichen Fortkommen behindern. Die Wahrheitspflicht geht aber vor. Und eigentlich müsste das den Kritikern des Arbeitszeugnisses doch in die Karten spielen, die meinen, man dürfe doch sowieso nicht Schlechtes im Arbeitszeugnis schreiben. Zwischen „nichts Schlechtes“ und der wohlwollenden Wahrheit liegen eben auch Welten. Hier muss man einfach ein bisschen länger über die Formulierungen nachdenken.


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Autorin: Claudia Kilian
Zeugnis-Expertin, Volljuristin, Fachbuchautorin mehrerer Bücher über Arbeitszeugnisse, langjährige Lektorin.
Seit 2008 der Kopf hinter „Mein-Arbeitzeugnis.com“

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